Wer besser scannt, spielt erfolgreichere Pässe

Wer zu den besten Fußballspieler*innen der Welt gehören möchte, darf sich im Spiel nicht nur auf den Ball fokussieren. Um erfolgreich zu sein, müssen Spieler*innen möglichst zu jedem Zeitpunkt wissen, wo sie sich auf dem Spielfeld befinden und welche Mit- und Gegenspieler*innen in ihrer Nähe sind. Wissenschaftler*innen beschreiben diese Fähigkeit als Vororientierung (Scanning) – und das kann man trainieren!

Ein neu entwickeltes Modell des Instituts für Trainingswissenschaft und Sportinformatik in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Fußball-Bund und der Norwegischen Sporthochschule kann Vororientierung messbar machen und mit der Leistung eines Fußballspielers in Zusammenhang setzen. Das hilft, Fehlpässe zu erklären und für Spieler*innen mit Optimierungspotenzial gezieltes Training anzubieten.

Dass Ballkontrolle alleine nicht ausreicht, um gut Fußball zu spielen, haben Studien bereits gezeigt. Verschiedene Untersuchungen legen nahe, dass eine gute Leistung häufig damit zusammenhängt, wie gut sich Spieler*innen mit gezielten Blicken auf dem Spielfeld orientieren. Wie aber erkennt man, bei welchen Spieler*innen diese Fähigkeit besonders ausgeprägt ist und welches Training hilft, die Vororientierungsqualität zu verbessern? In einer videobasierten Datenanalyse von 8.021 Spielsituationen aus 17 Junioren-Europameisterschaftsspielen (U17, U19 und U21) aus den Jahren 2018 und 2019 setzten Wissenschaftler*innen Wahrnehmung und Handlungsqualität zueinander in Beziehung. Ihre Daten liefern ein präzises Vorhersagemodell zur sogenannten Vororientierung im Fußball.

„Ziel der Studie war es, die Relevanz der Vororientierung im Sportspiel Fußball weiter zu erforschen, sie theoretisch zu modellieren und ihre Aussagekraft dann inklusive diverser Leistungs- und Kontextvariablen empirisch zu überprüfen“, sagt Marius Pokolm, Erstautor des Ende April 2022 im Journal of Sport and Exercise Psychology veröffentlichten Beitrags. Um besser zu verstehen, welche Bedeutung die Vororientierung im Fußball hat, analysierten die Wissenschaftler*innen im Zuge ihrer Feldstudie 239 Spieler. Untersucht wurde, wie häufig die Spieler in den zehn Sekunden vor der Annahme eines Passes ihren Kopf und Körper bewegten. In die Untersuchung mit einbezogen wurden – neben dem Passerfolg – die Körperstellung eines Spielers und der Gegnerdruck, dem der Spieler im Moment der Ballannahme ausgesetzt war.

Das Ergebnis der Studie: Spieler, die sich häufiger vororientieren, nehmen den Ball eher in einer halboffenen oder offenen, als in einer geschlossenen Körperstellung an. Außerdem sind sie erfolgreicher in ihrem Passspiel. Dieser Zusammenhang wird durch den Gegnerdruck beeinflusst. „Traditionell hat man sich in der Spielanalyse primär auf Aktionen mit dem Ball fokussiert. In der letzten Zeit ist der Fokus zunehmend auch auf Aktionen ohne Ball gerückt. Dass dies der richtige Ansatz ist, bei dem individuelle visuelle Wahrnehmungsprozesse stärker berücksichtigt werden, zeigt auch unsere Studie“, erläutert Professor Daniel Memmert, geschäftsführender Leiter des Instituts für Trainingswissenschaft und Sportinformatik.

Mit ihren Erkenntnissen liefern die Forscher*innen Hinweise darauf, welchen Einfluss die Vororientierung auf die Leistung eines Fußballspielers hat. Mit ihrer Analyse können sie den komplexen Prozess der Vororientierung besser zugänglich machen, die Mechanismen hinter erfolgreichen Aktionen mit dem Ball erklären und Rückschlüsse für das Training ziehen. „Um die Vororientierung eines Spielers adäquat zu trainieren, sind Wahrnehmung und Aktion zu koppeln. Zudem sollten kontextspezifische Variablen – wie der Gegnerdruck – in die Übung eingebaut werden, um das Training so spielnah wie möglich zu gestalten“, erklärt Marius Pokolm.

Die Studie „Modeling Player’s Scanning Activity in Football” ist im Journal of Sport and Exercise Psychology erschienen:

https://doi.org/10.1123/jsep.2020-0299.

Kontakt: Marius Pokolm & Univ.-Prof. Dr. Daniel Memmert