B-Girl Sophie Manuela Lindner

„Breaking ist eine Lebensphilosophie"

Sophie Manuela Lindner (34) ist ein B-Girl. Die gebürtige Österreicherin tanzt seit ihrem sechsten Lebensjahr. Als „Sophiela“ hat sie im Breaking zahlreiche Preise abgeräumt. Sie ist Choreographin, Tanzpädagogin, Personal Trainer, Physiotherapeutin und Lehrkraft für besondere Aufgaben am Institut für Tanz und Bewegungskultur der Sporthochschule. Breaking ist für Sophie nicht nur ein Sport, sondern eine Lebensphilosophie. Wenn sie nicht gerade neue Moves auf dem Schlossplatz ihrer Wahlheimat Stuttgart einstudiert, forscht sie zum Breaking bei den Olympischen Spielen 2024.

Sophie, was fasziniert dich so am Tanzen?
Ich tanze, seitdem ich ein Kind bin. Ich habe mich total im Tanz gefunden – weil man so im Moment ist. Man tanzt auf Musik, die einen leitet, man spielt mit Bewegungen, experimentiert, lässt sich von den anderen im Raum inspirieren und ist im Hier und Jetzt. Es tut unglaublich gut, und man lernt sich selbst richtig gut kennen, weil Tanz transparent ist. Man tanzt, wie man sich in dem Moment gerade fühlt. Es ist eine Form von Therapie, und das ist schön.

Wie bist du zum Tanzen gekommen?
Ich komme vom Land, aus Sankt Gilgen am Wolfgangsee im Salzkammergut. Da gibt es nix (lacht). Meine Eltern sind Sportlehrer, und Bewegung und Tanz hat in unserer Familie immer eine große Rolle gespielt. Meine Mutter wollte, dass ich tanzen lerne, und hat eine Kindertanz-Gruppe angeboten – da war ich sechs. Sie hat sich für ihre Schule im Hip Hop fortgebildet und mich mit zur Choreo Class genommen – so bin ich zum Hip-Hop-Tanzen gekommen. Zeitgleich habe ich ein musisches Gymnasium mit Schwerpunkt Tanz besucht. Bei meiner mündlichen Tanzmatura habe ich mich mit Headspins in den Körper- und Raumebenen befasst. Zu der Zeit habe ich aber noch nicht selbst gebreakt, das war nur meine Projektarbeit.

Mit Breaking bist du 2007 in Madrid in Kontakt gekommen. Was hast du in Spanien gemacht, und wie kam es dazu?
Ich habe nach meinem Abitur ein Freiwilliges Soziales Jahr in Madrid absolviert. Ich wollte dort weiter tanzen, aber die Kurse waren vom Stil her nicht richtig passend für mich, und ich hatte auch nicht viel Geld. Dann habe ich Breaker kennengelernt, die an der U-Bahn-Station trainiert und mich ganz herzlich aufgenommen haben. Das war in vielerlei Hinsicht ein Glückstreffer. Ich konnte mein Spanisch vertiefen, habe Freunde kennengelernt und konnte tanzen. Ich bin dort jeden Tag hingegangen, und nach einem halben Jahr wurde ich schon in eine Crew aufgenommen. Wir haben Streetshows gemacht und ein bisschen Geld damit verdient. Und ich war infiziert.

Du hast nicht nur auf der Straße getanzt, sondern auch an zahlreichen internationalen Wettbewerben teilgenommen. Was war dein größter sportlicher Erfolg?
Ich würde mich selbst als kulturelle Tänzerin beschreiben. Ich liebe das Battle, weil es so eine Extremsituation ist, in der du komplett improvisierst und ganz viele Faktoren mitspielen – nicht nur die Bewegungen, sondern auch der Charakter, die Musik, der Ausdruck und die Spontaneität. Einer meiner Höhepunkte war das Hip Hop Kulturfestival The Notorious IBE. Da habe ich es 2011 im 2:2 der Frauen bis ins Finale geschafft. Beim Red Bull BC One Austria Cypher (Anm. d. Red.: der größte und prestigeträchtigste Breaking-Wettbewerb der Welt) bin ich im gemischten Wettbewerb bis ins Halbfinale gekommen. Ich habe einige Männer rausgekickt (lacht). In der Regel sind es aber nicht die gewonnenen Wettbewerbe, über die man sich freut, sondern die einzelnen Personen, gegen die man im Battle gewinnt.

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Was reizt dich daran, dich mit anderen zu batteln?
Mich reizt es, den anderen aus dem Konzept zu bringen. Beim Battle geht es ja ganz spezifisch darum, sich besser zu präsentieren, als der Gegner oder die Gegnerin es tut. Es ist ein bisschen wie Schach, ein Strategiespiel. Man muss Höchstleistungen unter schweren Bedingungen liefern – man kennt die Musik nicht, muss improvisieren, und eine Jury bewertet deine Performance. Das ist purer Nervenkitzel. Wenn ein Battle im Cypher entsteht (Anm. d. Red.: der Tanzkreis, in dem Battles ohne Bewertung ausgetragen werden) geht es mir total um den nonverbalen Austausch, um eine Geschichte, um Bewegungen, Rhythmen, Musikalität – da geht man eher in ein Zwiegespräch. Man tauscht sich aus, interagiert mit dem anderen.  

Wie ist Breaking organisiert?
Breaking wird als Subkultur ausgetragen. Wenn Breaker ein Event in ihrer Stadt haben wollen, müssen sie es selbst organisieren und durchführen. Manche Events sind größer und größer geworden und haben sich international etabliert. Es gibt verschiedene Formate bei den Contests – 1:1, 2:2, 3:3 oder Crew:Crew. Ursprünglich waren die Wettbewerbe auch immer gemischtgeschlechtlich. So sind mit der Zeit in der Szene quasi inoffizielle Weltmeisterschaften entstanden – wie zum Beispiel das Red Bull BC One. Breaking war aber nie so ausgerichtet, dass man damit Geld verdient, sondern es ist ein Lifestyle. Es ist viel mehr als ein Hobby, es ist eine Lebensphilosophie. Du kleidest dich, du hast die Sprache, du triffst dich an gewissen Orten, es ist generationenübergreifend, und die Werte sind ganz wichtig. Werte, die man innerhalb der Crew an die Nachkömmlinge weitergibt, aber auch mit den B-Girls und B-Boys anderer Crews teilt. Das sind zum Beispiel die Prinzipien „each one teach one“ oder „sharing is caring“.  Der Traum von jeder Crew ist, dass sie am Leben bleibt.  

Zu welcher Crew gehörst du?
Ich bin schon lange in zwei Crews aktiv. Das ist einmal MOT – eine Crew aus Österreich, die ich 2010 gegründet habe.  MOT steht für My Own Thing. Das ist unsere Vision.Mittlerweile sind wir in der Crew schon vier Generationen, und die junge Generation vertritt unseren Namen richtig gut. Die andere Crew heißt Skill Sisters. Die habe ich nicht gegründet, da bin ich in Stuttgart, wo ich wohne, dazugestoßen. Bei Skill Sisters ist das Besondere, dass wir nur Frauen sind. Wir sind mittlerweile richtig gute Freundinnen geworden – Sisters for Life.

Was hat dich nach Stuttgart verschlagen?
Ich hatte mich während meiner Zeit in Spanien total in das Land verliebt, und für mich war klar, dass ich nach meinem Sportphysiotherapie-Studium in Salzburg wieder dorthin gehe. Ich habe dann meinen Master in Barcelona absolviert und wollte im Anschluss im Bereich Physiotherapie mit Tänzerinnen und Tänzern arbeiten. Mein Wunsch war es, die Brücke zwischen Breaking und Gesundheitswissen zu schlagen. Das hat sich jedoch als zu schwierig herausgestellt. Es gab zu der Zeit eine hohe Arbeitslosenquote in Spanien, und das Gesundheitsbewusstsein unter den Breakern war einfach nicht so stark ausgeprägt, wie ich es mir erhofft hatte. Oder sie hatten schlicht nicht das Geld, um sich in der Tanzmedizin und der Gesundheitsprävention weiterzubilden. Ich habe dann Jens von HE4DS kennengelernt, der genau in dem Bereich in Stuttgart gearbeitet hat. Zu dem Zeitpunkt hatte ich mich bereits entschieden, Spanien zu verlassen. Ich hatte ein Jobangebot als Physiotherapeutin in Kairo und als Disko-Tänzerin in China. Am Ende ist es Stuttgart geworden – zum Glück!

Heute bist du Geschäftsführerin von HE4DS - Health Education for Dancers. Was genau macht ihr?
Wir bieten Gesundheitsförderung und Leistungsoptimierung für Tänzerinnen und Tänzer mit Hauptschwerpunkt Urban Dance Styles an. Wir haben verschiedene Dienstleistungen und Produkte im Programm – immer mit der Mission Health Education. Wir ermächtigen Tänzer durch Wissen dazu, dass sie besser tanzen können. Andere professionelle Sportler können meist auf einen Trainerstab, Physiotherapeuten und anderes Fachpersonal zurückgreifen. Das ist in unserem Sport leider nicht so, da sind die Tänzerinnen und Tänzer auf sich selbst gestellt. Diese Lücke wollen wir schließen.

Die Tanzmedizin und Gesundheitsprävention im Tanz nimmt auch in deiner Forschung eine zentrale Rolle ein. Woran forschst du gerade?
Meine Hauptforschung im Breaking bezieht sich derzeit auf die Olympischen Spiele 2024 in Paris. Das ist auch Thema meiner Promotion. Aktuell schaue ich mir an, wie überhaupt trainiert wird. Dazu habe ich das Training von zwölf internationalen B-Girls und B-Boys analysiert, die sich derzeit auf Olympia vorbereiten. In einer anderen Studie schaue ich mir die bereits qualifizierten Olympia-Teilnehmenden an: Wer ist das überhaupt, aus welchen Ländern kommen sie, wie alt sind sie und so weiter. Dann ziehe ich Vergleiche: Trainieren die TOP 32 mehr oder anders als die restlichen Breaker. In einer dritten Studie beschäftige ich mich mit einem neuen Judging-System, in dem ich auch ausgebildet bin. Obwohl alle Jury-Mitglieder möglichst objektiv bewerten wollen und müssen, hat sich herauskristallisiert, dass bestimmte Bewegungen und Bewegungskombinationen entscheidend für ein erfolgreiches Abschneiden sind. Das analysiere ich gerade, um daraus ein Kategoriensystem mit Wettkampfraster zu erarbeiten. Die Idee dahinter ist herauszufinden, ob man etwas besonders trainieren sollte, um die Gewinnchancen zu maximieren.

Und dann nimmst du Teil und profitierst von deiner eigenen Forschung?
(lacht) Nein. Dadurch, dass ich Jurorin geworden bin, habe ich meine sportliche Karriere an den Nagel gehängt. Es geht eher darum, den deutschen Athletinnen und Athleten die Daten zur Verfügung zu stellen und sie bestmöglich auf Olympia vorzubereiten. International liegen wir derzeit auf Rang drei, hinter Amerika und Japan.

Bist du als Jurorin bei den Olympischen Spielen im Einsatz?
Es steht noch nicht fest, wer dabei ist. Ich bin jetzt im April Jurorin bei den nationalen Meisterschaften in Portugal und Rumänien und war letztes Jahr bei den nationalen Meisterschaften in Österreich. Aber selbst, wenn ich gefragt werden würde, würde ich ablehnen. Ich möchte lieber mit meiner Forschung bei Olympia dabei sein und analysieren, was die Jury entscheidet, statt selbst in der Verantwortung zu stehen.  

Wie findest du es generell, dass Breaking olympisch wird?
Ich habe verschiedene Rollen. Als kulturelle Tänzerin mache ich bei Olympia nicht mit. Ich gehe auf Jams, auf kulturelle Veranstaltungen und lebe mein Battlewesen wie bisher. Als Forscherin finde ich das super spannend und freue mich total, dass es für Breaker nun auch die Möglichkeit gibt, den Sport professionell auszuüben und vielleicht davon leben zu können. Ich finde Entwicklung sehr wichtig. Es gab schon immer diesen Trend Richtung Sport und Kultur, und jetzt wird er noch stärker gesetzt. Was sich wiederum daraus entwickelt, wird auch total spannend zu beobachten sein.

Du hast also keine Sorge, dass euer Sport zu kommerziell wird und die kulturellen Werte in den Hintergrund rücken?
Nein, weil die Tänzerinnen und Tänzer, die bei Olympia dabei sind, aus der Szene sind. Ich bin eine totale Befürworterin und sehe das als positive Entwicklung. Wir müssen keine Angst vor Neuem haben, solange wir Teil davon sind. Es liegt auch in unserer Verantwortung, den Spirit unseres Tanzes an den Nachwuchs weiterzugeben und ihn somit aktiv zu gestalten.

Interview: Lena Overbeck

Gut zu wissen

Das ist Breaking

Breaking ist eine akrobatische Tanzform, die in den 1970er-Jahren in den Straßen der Bronx entstanden ist. Sie ist Teil der Subkultur Hip Hop. Der Tanz findet überwiegend auf dem Boden statt. Die Tänzer*innen werden B-Girls, B-Boys oder Breaker genannt. Man spricht in der Szene neben Breaking daher auch von B-Boying oder B-Girling. Daneben gibt es den medial verbreiteten Begriff Breakdance. Die vorrangigen Musik-Genres, zu denen gebreakt wird, sind Breakbeats, Funk, Rap und Soul.

Breaking-Vokabular

Cypher wird die Tanzfläche genannt, auf der Breaker einen Kreis bilden und abwechselnd in die Mitte gehen, um ihr Können zu zeigen. Jeder Tanzpart wird mit Toprocks eingeleitet – Tanzschritte im Stehen. Sie dienen als Eröffnung und als Aufwärmphase für Übergänge zu den akrobatischeren Moves auf dem Boden. Bei den Freezes werden alle Körperbewegungen angehalten. Sie werden eingesetzt, um eine Abfolge von Tanzschritten (Set) abzuschließen oder um bestimmte Abschnitte in der Musik zu betonen. Die Tanzschritte am Boden werden als Footwork oder auch Downrocks bezeichnet. Powermoves sind Drehungen um jede beliebige Körperachse. Einer der bekanntesten ist der Headspin.

Breaking bei Olympia

2024 wird es erstmals Breaking-Wettbewerbe bei den Olympischen Spielen geben – den Einzelwettbewerb der Damen und den der Herren. 16 B-Boys und B-Girls batteln sich in direkten Einzelkämpfen um das Weiterkommen in die nächsten Runden.

Zur Person

Sophie Manuela Lindner „Sophiela“ ist im österreichischen Sankt Gilgen aufgewachsen. Während ihres Freiwilligen Sozialen Jahres in Madrid (2007) entdeckte sie ihre Leidenschaft für das Breaking und feierte zahlreiche internationale Erfolge mit ihren Crews Mamafunk (Spanien), MOT (Österreich) und Skill Sisters (Deutschland). Die Wahl-Stuttgarterin studierte Sportphysiotherapie (Bachelor und Master) in Salzburg und Barcelona und spezialisierte sich in der Tanzmedizin. Seit 2020 ist sie Mitarbeiterin am Institut für Tanz und Bewegungskultur der Spoho.