Spoho persönlich

Sprachsport zwischen Fröschen und Formulierungen

Christine Joisten ist in der fünften Klasse, als sie ihr erstes Gedicht schreibt. Als „grauenhaft und nicht zitierfähig" bezeichnet sie es heute. Auch wenn sie - auf dringende „Bitte" ihrer Eltern etwas „Vernünftiges", nämlich Medizin, studiert hat, ist die Spoho-Professorin der Lyrik und dem Schreiben stets treu geblieben. Bis heute schreibt sie Gedichte, Kurzgeschichten und am allerliebsten Kinderbücher.

Ein kleiner grüner Frosch spielt die Hauptrolle im aktuellen Kinderbuch von Christine Joisten. Der lebt ruhig und friedlich in seinem Tümpel, träumt aber davon, ein Superheld zu sein. Als sich ein Albatros an seinen Teich verirrt, packt der Frosch die Gelegenheit beim Schopfe, fliegt zusammen mit dem großen Vogel ans Meer und erlebt dort ein aufregendes Abenteuer. Tiere findet Christine Joisten super; sie hat schon Geschichten über Waldkäuze, Faultiere und Schnecken geschrieben. Affen, Kamele und Schildkröten stehen noch auf der Liste. Und selbst läuft sie gerne mit Hündin Amelie am Rhein entlang. Was genau den Frosch für sie so besonders macht, kann sie gar nicht richtig erklären. ,,Ich finde Frösche einfach lustig. Schon auf dem Gymnasium fanden wir alle die Muppet Show toll, und ich liebte Kermit. Inzwischen bekomme ich Frösche in den verschiedensten Varianten geschenkt", erzählt die 56-Jährige und lacht. Manchmal habe die Auswahl der tierischen Protagonisten für ihre Geschichten schlichtweg praktische Gründe: ,,Auf ,Möwe' reimt sich einfach nichts Gutes. Oder auf Regenwurm ... Ich habe mal eine Kindergeschichte über einen Maulwurf geschrieben, der Angst im Dunkeln hat. Da gibt es auch einen Regenwurm. Aber ich konnte das eben nicht in Gedichtform machen." Das Tolle an Tieren in der Literatur sei, dass sich viele Botschaften oder Eigenschaften in die Tierwelt verlagern lassen: ,,Du kannst Tieren menschliche Eigenschaften verleihen. Sie sind vielleicht nicht angemessen für das Tier, aber so kannst du eine deutlichere Aussage treffen, als wenn du Menschen ,nutzen' würdest." Als Kind hat Christine Joisten vor allem viel gelesen und dann angefangen, kleinere Geschichten zu schreiben, zum Beispiel angelehnt an „Hanni und Nanni", eine der erfolgreichsten Buchreihen der englischen Kinder­und Jugendbuchautorin Enid Blyton. Das Schreiben liegt scheinbar in ihrer Familie, denn auch die Urgroßmutter, deren Bruder, eine Großtante und ein Onkel erarbeiteten kleinere Werke. Das sind zumindest die, von denen sie es weiß. Gerne erinnert sie sich an das Fach Deutsch in der Schule bzw. an „eine supertolle Deutschlehrerin" in der Oberstufe. ,,Sie hat uns damals eine Sache beigebracht, die mir heute noch präsent ist: Ihr dürft in Texten alles behaupten, wenn Ihr es belegen könnt. Das ist eigentlich eine sehr wissenschaftliche Denkweise." Und so schrieb Christine Joisten Texte unterschiedlicher Gattungen, mit Reimen oder ohne, für Kinder oder für Erwachsene, meist eher kürzer als länger. Denn: So gerne Christine Joisten ausführlich erzählt und lebendig schildert, umso kürzer sind ihre Geschichten, wenn sie sie zu Papier bringt. ,,Ich liebe Lyrik und Kurzgeschichten, weil man sehr klar, sehr präzise sein muss." Für eines ihrer Gedichte gewann sie 2015 in Österreich den Preis „art.experience". ,,Oh, da war ich schon sehr stolz", sagt sie schmunzelnd. Andere Texte wurden in Literaturzeitschriften veröffentlicht, und auch an kleineren Lesungen nahm sie als Autorin teil - sogar an der lit.kid.COLOGNE, dem Kölner Literaturfest für Kinder und Jugendliche, mit einer Geschichte über gesunde Ernährung.

Vom Lernen, Kritik anzunehmen und zu formulieren
Allerdings war der Traum, Schriftstellerin zu werden, schon ganz früh vom Tisch, als Joistens Vater ihr nach dem Abitur prophezeite: ,,Dann schläfst du unter der Brücke. Mach etwas Vernünftiges!" Besonders vernünftig war in den Augen des Mediziners ein Medizinstudium. Das absolvierte Christine Joisten dann auch: ,,Ich habe wirklich immer gesagt: Ich mache nie Medizin, ich mache nie Sportmedizin, und ich mach schon gar keine Wissenschaft." Aber genau so kam es dann doch. Die handwerklichen Fähigkeiten des belletristischen Schreibens eignete sie sich parallel zum Beispiel in Textwerkstätten an - daran nimmt sie heute noch teil. Textwerkstätten bieten die Möglichkeit, sich mit den eigenen Texten im Dialog mit anderen Autor*innen auseinanderzusetzen und theoretisches Grundwissen anzueignen. Bei manchen muss man sich sogar bewerben. Und man muss lernen, sich mit Kritik auseinanderzusetzen, erzählt Christine Joisten, was nicht immer einfach sei. ,,Man muss mit Kritik umgehen können, und das lernt man in diesen Gruppen. Wie nehme ich Kritik an? Wie formuliere ich sie? Das sind interessante Parallelen zum wissenschaftlichen Arbeiten, denn auch bei wissenschaftlichen Veröffentlichungen bekommen wir Feedback von Gutachter*innen." Am liebsten schreibt Christine Joisten am Esszimmertisch an ihrem Laptop mit Blick in den Garten. Feste Tageszeiten für das Schreiben oder kreative Phasen hat sie aber nicht. Dafür reicht häufig die Zeit nicht aus, und andere Prioritäten haben Vorrang. Dann kommen aber auch  wieder Tage und Wochen, in denen sie voll im Schreibtunnel ist. ,,Der Platz, an dem ich schreibe, ist mein Kopftunnel. Das kann ich irgendwie nicht anders beschreiben. Das empfinden auch meine Mitmenschen so - und zwar nicht immer nur positiv ... Wenn ich wieder im Tunnel sitze und schlichtweg nicht greifbar bin."

Die Ideen zu ihren Geschichten springen sie meist im Alltag an, flattern zunächst flüchtig durch ihren Kopf, sind dann manchmal wieder verschwunden, kehren irgendwann zurück und verfestigen sich. Manchmal geht sie aber auch gezielter zu Werke, zum Beispiel bei ihrer neuen Kinderbuchreihe „Emmy und Fanny". Deren Hauptfigur ist ein kleines Mädchen mit Zerebralparese (frühkindliche Hirnschädigung), das im Rollstuhl sitzt. ,,Es gibt tatsächlich noch vergleichsweise wenige inklusive Kinderbücher, vor allem Bilderbücher. Daher habe ich mir diesen Fokus bewusst ausgesucht und mich durch eine ,echte Emmy' inspirieren lassen", erklärt Joisten. Dabei sei die Einschränkung von Emmy in den Bildern zu sehen, stehe aber nicht allein im Vordergrund. So soll in Familien oder auch Kindertagesstätten ein Austausch darüber angeregt werden. Eine andere Idee, die ihr schon seit Jahren durch den Kopf geistert, ist eine Fantasy-Geschichte, die sie gerne als Trilogie umsetzen würde. ,,Ich habe mir früher selbst Geschichten ausgedacht und meinen Kindern erzählt, zum Beispiel solche Fantasy-Sachen. Aber das würde natürlich nochmal viel Zeit in Anspruch nehmen." Bis dahin bleibt es erstmal bei Emmy und Fanny und beim kleinen Frosch. Der ist übrigens von seinem Abenteuer am Meer wieder in seinen Teich zurückgekehrt und freut sich darüber: ,,Mein Zuhause, meine Welt, hier bin ich ein echter Held!"

Text: Julia Neuburg

Zur Person

Prof. Dr. Christine Joisten (56) leitet im Institut für Bewegungs- und Neurowissenschaft die Abteilung Bewegungs- und Gesundheitsförderung. Die gebürtige Würzburgerin kam im Alter von fünf Jahren nach Köln, studierte Medizin an der Universität zu Köln und ist Fachärztin für Allgemeinmedizin, Sportmedizin, Ernährungsmedizin sowie ärztliche Psychotherapeutin. Parallel zum Medizinstudium arbeitete sie als studentische Hilfskraft am Institut für Kreislaufforschung und Sportmedizin der Spoho - bei ihrem Vater, dem bekannten Sportmediziner Richard Rost. 1996 wurde sie dort wissenschaftliche Mitarbeiterin; 2008 wechselte sie das Institut. In ihrer Forschung befasst sie sich unter anderem mit Übergewicht und Adipositas im Kindes- und Jugendalter. Joisten hat vier Kinder im Alter zwischen 28 und 21 Jahren. Keines von ihnen ist bislang Schriftsteller*in oder Mediziner*in - sie machen auch etwas „Vernünftiges".

Der kleine Frosch und das Abenteuer am Meer ist eine Vorlesegeschichte ab fünf Jahren. Sie handelt von einem kleinen Frosch, der sich nach Abenteuern sehnt und gerne ein Superheld sein möchte. Illustriert von Sabine Schindler-Marlow.