Wilhelm Bloch

Auswirkungen von Corona auf die Fußball-EM

Univ.-Prof. Dr. Wilhelm Bloch leitet das Institut für Kreislaufforschung und Sportmedizin an der Deutschen Sporthochschule Köln. Im Themenpaket-Interview spricht er über die anstehende Fußball-Europameisterschaft. Sollte eine paneuropäische EM zum aktuellen Zeitpunkt stattfinden? Wie schaut es mit der Gesundheit der Spieler aus? Wo liegen die Infektionsherde? Würde er aktuell ins Stadion gehen?

Professor Bloch, vielen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben. Erstmal würden wir gerne darüber reden, ob in Ihren Augen das Hygienekonzept der DFL funktioniert hat. Es gab ja durch die ganze Saison hinweg stetig neue Corona-Fälle, gerade Richtung Ende der Saison mussten viele Mannschaften sogar kollektiv in Quarantäne. Hat Sie das überrascht?

Nein, überhaupt nicht. Ich finde, dass es eigentlich noch einigermaßen gut gelaufen ist. Um das Konzept zu 100 Prozent sicher zu machen, müsste man im Endeffekt alle Kontakte der Sportler und des Betreuerstabs nach außen verhindern. Wenn einmal ein positiver Fall in so eine kleine, abgeschlossene Blase hineinkommt, bringt auch das beste Hygienekonzept nichts mehr. Es geht dabei weniger um die Spielsituationen. Dazu gibt es eine Studie, die zeigt, dass außen im Spielbetrieb selbst das Risiko relativ gering ist. Aber es gibt Umkleiden und es gibt Wege dahin, da kann natürlich immer auch was passieren.

Kann eine EM auch mit einem funktionierenden Hygienekonzept überhaupt stattfinden?

Die EM wird stattfinden, von daher ist die Frage nach dem ‘Kann’ überflüssig. Ich halte die EM zum jetzigen Zeitpunkt für riskant, das ist ganz klar. Wir müssen uns einfach bewusst machen, wenn wir durch zwölf Länder mit unterschiedlich hohen Inzidenzen, mit unterschiedlichen Rahmenbedingungen hin- und herreisen, dass wir dann Probleme kriegen, so ein Event auch ganz frei durchzuführen. Aber wir haben noch ein bisschen Zeit, das kann uns durchaus in die Karten spielen, weil momentan die Inzidenzzahlen wieder runtergehen. Je geringer die Inzidenzen in einzelnen Ländern sind, desto geringer ist das Risiko. Wenn es vor zwei bis drei Wochen stattgefunden hätte, dann hätte ich schlimme Bauchschmerzen gehabt. Dann hätte ich auch gesagt: “Das ist eigentlich nicht wirklich verantwortbar.” Wir gehen aber in eine Zeit rein, wo ein Teil der Bevölkerung schon durchgeimpft ist, wo wir mit Sicherheit auch wieder fallende Inzidenzen haben. Wir können einfach die Daumen drücken, dass alles gut geht und wir nicht zu viele Fälle haben. Wenn jemand davon ausgeht, dass es null Fälle geben wird, ist das wohl eher Träumerei.

Expert*innen fordern, dass für Olympia die Athlet*innen durchgeimpft sein müssen. Wie sehen Sie das für die Fußball-EM? 

Es wäre am Ende sicherlich besser, wenn die Spieler geimpft werden. Vor allem durch die Reiserei könnten da einige Risiken eingedämmt werden. Bei vollen Stadien sehe ich allerdings die Spieler nicht mehr gefährdet, als sie es ohnehin schon sind. Die Spieler werden nicht nah an die Zuschauer*innen herankommen. Es wird, hoffe ich jedenfalls, ein abgeschotteter Bereich bleiben. Das sehen die Hygienekonzepte auch vor. Da liegt das Problem eher bei den Zuschauer*innen. Es gibt Diskussionen, dass nur Geimpfte und Getestete in die Stadien hineindürfen. Es ist natürlich ein Vorteil, wenn möglichst viele geimpft sind.

Besteht durch Corona für Profisportler*innen die Gefahr auf Langzeitfolgen?

Ja, das ist keine Frage. Profisportler*innen sind grundsätzlich von Haus aus gut geschützt. Ein Fußballer, der in einem sehr guten Trainingszustand ist, der leistungsfähig ist, hat in der Regel auch ein gutes Immunsystem. Es gibt immer ein paar Ausnahmen, die dann immunologische Vorerkrankungen haben, aber grundsätzlich sind sie gut geschützt. Nur, was wir momentan lernen, ist, dass auch bei den asymptomatischen und milden Verläufen, die meistens auch bei den Sportler*innen so vorkommen, Langzeitfolgen auftreten. Das wird als “Long COVID” oder “Post COVID” bezeichnet (Interview Prof. Bloch mit dem Labourjournal) und zieht sich über 10 bis 15 Prozent der Gesamtbevölkerung. Wie das bei den Fußballspielern sein wird, wird man erst noch sehen. Ich habe so ein bisschen die Befürchtung, dass es den einen oder anderen Spieler trifft, der es vielleicht am Anfang gar nicht merkt. Das ist nämlich das Tückische daran. Man kommt eigentlich ganz gut durch die Erkrankung, Wochen oder Monate später entwickelt man dann aber doch Symptome. Es wird einige Fußballspieler treffen und da wird es möglicherweise Veränderungen der Leistungsfähigkeit geben. Langzeitfolgen sind eben auch bei Leistungssportler*innen nicht auszuschließen.

Ist es demnach möglich, dass ein Spieler wie Serge Gnabry, der bereits an Corona erkrankt war, während der EM plötzlich einknickt?

Theoretisch besteht natürlich schon die Gefahr, dass Spieler in der Belastungsphase Symptome entwickeln oder Leistungseinbußen haben. Häufig gehen die Leistungseinbußen mit einer Krankheit einher, die man „Fatigue“ nennt, ein Syndrom mit chronischer Müdigkeit. Theoretisch kann das passieren, ich halte die Wahrscheinlichkeit allerdings für nicht ganz so hoch. Ich könnte mir aber schon vorstellen, dass der ein oder andere Spieler, der bereits infiziert war, tatsächlich unter der Belastung dann auch mit Leistungseinbußen zu kämpfen hat. 

Würden Sie sich unter den aktuellen Bedingungen ein Spiel im Stadion anschauen? 

Nein. Das ist eine klare Aussage. Ich halte die EM schon für schwierig und ich hätte mir gewünscht, dass man auch die EM ohne Zuschauer*innen durchzieht. Die Bundesliga hat es auch geschafft. 15.000 Zuschauer*innen im Stadion machen natürlich etwas mehr Atmosphäre. Wenn man aber das Gesamtbild betrachtet, dann ist jetzt einfach noch nicht der Zeitpunkt, um so ein Event vor Zuschauer*innen durchzuführen. Ich war ein bisschen erschrocken darüber, als ich gehört habe, was zum Teil geplant ist, wie viele Zuschauer*innen in die Stadien sollen. Am Ende des Tages ist aber noch nichts in Stein gemeißelt, weil lokale Behörden und Gesundheitsämter auch noch ein Wort mitzureden haben.

Gäbe es ein Konzept, unter dem Sie sich vorstellen könnten, dennoch ins Stadion zu gehen?

Nein. Ich glaube nicht, dass die Gefährdung initial direkt in den Stadien entsteht. Trotz allem ist der Fußball immer noch eine Freiluftveranstaltung. Wenn die Abstände gewahrt sind, die Zugänge und die Abgänge entsprechend geregelt sind, sodass die Leute ihre Masken tragen, den Abstand halten, dann ist das Risiko eigentlich relativ gering. Das Hauptrisiko ist das Umfeld der Events. Das ist im Hygienekonzept nicht enthalten. Es ist nicht das Event selbst und nicht diese direkte Situation im Stadion, das sind Dinge, die kann man kontrollieren. Aber in letzter Konsequenz ist es die Disziplin im Umfeld eines solch großen Events. Die Zuschauer*innen im Stadion sind eine Sache, aber das Public Viewing ist das andere Problem. Die Leute werden sich wahrscheinlich – auch wenn es nicht erlaubt ist – privat treffen und die Spiele schauen.

Ihr Fazit?

Ich halte es für zu früh, die EM vor Zuschauer*innen durchzuführen. Auch aufgrund großer Reisestrapazen würde ich mir wünschen, dass möglichst viele Spieler geimpft sind. Die größten Infektionsherde und das größte Risiko sehe ich allerdings nicht im Stadion selbst, sondern im kompletten Umfeld einer solchen Großveranstaltung und im privaten Bereich.

Vielen Dank für dieses Gespräch.

Das Interview führten Bengt Kunkel und Henrik Mertens.

Info: Das Interview wurde bereits Mitte Mai geführt. Einige Aspekte könnten zum Lesezeitpunkt zeitlich überholt sein und nicht der aktuellen Lage entsprechen.