Nr. 5/2023

Pferdegestützte Therapie bei Parkinson

Pferdegestützte Therapie gibt es schon sehr lange und wird bei unterschiedlichsten Erkrankungen und Beeinträchtigungen angewendet – zum Beispiel bei Multipler Sklerose, neurodegenerativen Erkrankungen, Traumata, Autismus oder dem Down-Syndrom. Dabei wird die wohltuende und heilende Wirkung des Pferdes auf den Menschen genutzt. Ob sich eine pferdegestützte Bewegungstherapie auch für Menschen mit Parkinson eignet, hat nun eine Pilotstudie der Deutschen Sporthochschule Köln untersucht. Die Ergebnisse hat Dr. Anna Katharina Alexandridis vom Institut für Bewegungstherapie und bewegungsorientierte Prävention und Rehabilitation in ihrem jüngst erschienenen Paper in der Fachzeitschrift neuroreha veröffentlicht.

In Deutschland haben mehr als 300.000 Menschen Morbus Parkinson. Dabei handelt sich um eine langsam fortschreitende Erkrankung des Gehirns, bei der eine kleine Gruppe von Zellen im Gehirn beschädigt wird und abstirbt. Diese Zellen sind für die Produktion des Botenstoffs Dopamin zuständig, der notwendig ist, um Körperbewegungen zu steuern. Fehlt dieser, sind u.a. Zittern, Sprachstörungen und Muskelsteifheit in Armen und Beinen die Folge. Im Fachjargon spricht man auch von IPS, Idiopathisches Parkinson-Syndrom. Das Wort „idiopathisch“ bedeutet, dass die Ursache der Erkrankung nicht bekannt ist. Parkinson ist nicht heilbar. In der Behandlung wird daher darauf abgezielt, Symptome zu verringern und Beschwerden zu lindern. „Neben der medikamentösen Einstellung ist die Bewegungstherapie ein integraler Bestandteil der Parkinson-Behandlung“, erklärt Wissenschaftlerin Dr. Anna Katharina Alexandridis und erläutert weiter: „Während für andere neurologische Erkrankungen bereits nachgewiesen werden konnte, dass sich eine pferdegestützte Therapie positiv auf die Symptomatik von Patientinnen und Patienten auswirkt, liegen speziell zur Parkinson-Erkrankung noch keine Studien vor.“ Die Mitarbeiterin des Instituts für Bewegungstherapie und bewegungsorientierte Prävention und Rehabilitation, die als Bewegungstherapeutin seit mehr als 20 Jahren auch pferdegestützt arbeitet, hat daher eine Pilotstudie mit 20 Parkinson-Patient*innen durchgeführt, bei der die Interventionsgruppe zwölf pferdegestützte Therapieeinheiten erhielt.

20 Parkinson-Erkrankte ohne Reiterfahrung

Aufbauend auf der Hypothese, dass therapeutisches Reiten auch bei IPS erfolgsversprechend sein kann, hat Dr. Alexandridis 20 Parkinson-Patient*innen in zwei Gruppen á zehn Personen eingeteilt. Die Interventionsgruppe erhielt insgesamt zwölf pferdegestützte Therapieeinheiten (á 45 Minuten) verteilt auf sechs Wochen. Sowohl in der Kontrollgruppe als auch in der Interventionsgruppe wurde die bisherige medikamentöse und nicht-medikamentöse Therapie unverändert beibehalten. Neurologische Untersuchungen erfolgten vor der ersten und nach der letzten Therapieeinheit bei allen Proband*innen. Ausschlusskriterien zur Teilnahme an der Studie waren zum Beispiel regelmäßiges Reiten (mehr als einmal monatlich in den letzten zwölf Monaten), Körpergewicht über 90 kg, kein freies Sitzen oder eine unüberwindbare Angst vor Pferden. Am Ende nahmen in der Interventionsgruppe sieben Männer und drei Frauen teil (Durchschnittsalter 64,8 Jahre). In der Kontrollgruppe waren es sechs Männer und vier Frauen (Durchschnittsalter 69,9 Jahre). Die Verteilung der Schweregrade war in beiden Gruppen nahezu gleich.

Auf dem Rücken der Pferde

Die pferdegestützte Bewegungstherapie wurde zweimal wöchentlich über je 45 Minuten durchgeführt. Jede Therapieeinheit gliederte sich in eine Einstimmungsphase, einen Hauptteil und einen Ausklang. „Uns war es wichtig, dass die Patient*innen die Möglichkeit erhielten, eine Beziehung zu dem Pferd aufzubauen. In der Einstimmungsphase wurde daher geputzt, gestreichelt und das Pferd vorbereitet“, erklärt Dr. Anna Katharina Alexandridis. Außerdem wurden Begrüßungsrituale und Wahrnehmungsübungen durchgeführt. Im Hauptteil ging es dann für die Proband*innen auf das Pferd. Ziel war es dabei, ihnen über geführtes Schrittreiten Bewegungsimpulse zu geben - mit einer Zielbelastungsdauer von 2000 bis 3000 Schritten. Alexandridis:  „Parkinson-Patienten und -Patientinnen reiten nicht im klassischen Sinne. Sie sind auf dem Pferd und erleben die Bewegungsübertragung der Pferdeschritte auch motorisch als  Impulse zur Aufrichtung und Gehbewegung. Die Pferde sind top ausgebildet und passen sich den Bedürfnissen des Reiters bzw. der Reiterin an.“ Der Ausklang wurde mit Übungen zur Körperwahrnehmung, Dehnfähigkeit und/oder Atemübungen gestaltet. Danach brachten die Proband*innen das Pferd gemeinsam mit der Therapeutin zurück in die Stallungen und die Therapieeinheit wurde in der Verabschiedung kurz verbal reflektiert. Die Datenerfassung erfolgte mittels motorischer Tests, eines psychometrischen Fragebogens sowie der Erfassung der Behandlungsparameter durch einen hierzu eigens erstellten Dokumentationsbogen, in dem die motorischen Handlungen in der Pflege des Pferdes, die Laufwege des Pferdes, die absolute Zeit auf dem Pferd und die dabei absolvierten Schritte des Pferdes erfasst wurden. Bei der quantitativen Messung der Bewegungsübertragung über die Schritte kam ein Schrittzähler zum Einsatz.

Wirksamkeit einer pferdegestützten Therapie bei Parkinson

Die Ergebnisse zeigen, dass sich eine pferdegestützte Therapie bei Parkinson-Erkrankten positiv auf die Symptomatik auswirken kann. Beide Gruppen zeigen eine Verringerung des Gesamtscores der MDS-UPDRS im Vorher-Nachher-Vergleich, wobei sich die Interventionsgruppe im Mittel stärker verbesserte. Die Abkürzung MDS-UPDRS steht für Movement Disorder Society - Unified Parkinson Disease Rating Scale, ein allgemein anerkanntes Werkzeug zur Verlaufsbeobachtung bei Morbus Parkinson. Mit Hilfe der Skala lassen sich Krankheitsverlauf und Schweregrad von Patient*innen mit Morbus Parkinson bzw. einem Parkinson-Syndrom umfassend und sinnvoll beurteilen. „In der Subskala Globale Spontaneität der Bewegungen zeigt die Interventionsgruppe eine deutlichere Verbesserung  der Symptomatik als die Kontrollgruppe; in der Subskala Gangbild und Körperhaltung eine Verbesserung. In diesem Teil des UPDRS ergaben sich hoch- bis höchst-signifikante Verbesserungen für die Therapiegruppe. Keine Unterschiede gab es in den weiteren Untersuchungsparametern, wie zum Beispiel Sprache und Gesichtsausdruck, Tremor oder Schrittlänge. Eine Verschlechterung konnte in keinem Fall beobachtet werden“, nennt Dr. Alexandridis einige Detailbefunde der Pilotstudie. „Allerdings“, räumt die Wissenschaftlerin ein, „müssen wir die Ergebnisse mit Vorsicht interpretieren, da die Stichprobe so klein war.“ Die sich anschließende Hauptstudie soll daher mit 100 Patientinnen und Patienten durchgeführt werden. Neben den messbaren Ergebnissen unterstützen die subjektiv wahrgenommenen Effekte der Teilnehmenden der Interventionsgruppe die Hypothese der Wissenschaftlerin. Einige berichteten von einem „tollen Ganggefühl“, das sich im Anschluss an die Therapieeinheiten einstellte oder von „einem insgesamt positiven Glücksgefühl.“ Dr. Anna Katharina Alexandridis resümiert: „Pferdegestützte Therapie ist eine Form der Bewegungstherapie und wird wie Physiotherapie Parkinson niemals heilen können. Aber sie kann den degenerativen Prozess der Erkrankung verlangsamen.“ Therapiepferde seien das einzige Trainingsgerät, das eine echte zeitlich-räumliche Anpassung ermögliche. Hinzu komme, dass die Pferde ein emotionales Verständnis haben. „Sie reagieren auf Angst, in dem sie langsamer werden oder setzen ihre Atemfrequenz runter und laden so den Reiter oder die Reiterin ein, dies auch zu tun.“

Die Feinmotorik im (Aus)Blick

Ein Aspekt, den die Wissenschaftlerin in der Hauptstudie gerne genauer unter die Lupe nehmen möchte, ist die Feinmotorik. „In der bewegungs- oder physiotherapeutischen Behandlung von Parkinson-Patient*innen wird weitestgehend auf Dual-Tasking verzichtet, weil man davon ausgeht, dass die Fähigkeit, zwei oder mehr Aufgaben gleichzeitig auszuführen, bei Menschen mit Parkinson beeinträchtigt ist“, erläutert Dr. Anna Katharina Alexandridis und führt ihren Gedanken weiter aus: „Beim Gangtraining muss der Patient selbst aktiv werden, das heißt die Bewegungen des Ganges werden über eine direkte Steuerung des Gehirns initiiert. Über die physiotherapeutischen Aufgaben versorgt der Patient bewusst Teile der Skelettmuskulatur mit Nervenreizen. Das ist in der pferdegestützten Therapie nicht so, da erfolgt der Impuls zur Bewegung durch das Pferd. Es wäre doch spannend zu beobachten, ob ein gleichzeitiges Training der Feinmotorik, zum Beispiel Fingerübungen, integriert werden kann und ob dieses positive Effekte hätte.“

Text: Lena Overbeck

 

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