Nr. 5/2023

„Das Wichtigste ist erreicht: Sie können wieder am Alltag teilnehmen!“

Sportwissenschaftler, Fußballfan, Karnevalist … Aber vor allem das Herz, das hat es ihm besonders angetan: Thomas Schmidt ist 36 und Juniorprofessor für Sport- und Bewegungstherapie bei inneren Erkrankungen an der Deutschen Sporthochschule Köln. Es ist mehr als acht Jahre her, dass er zum ersten Mal ein „Kunstherz“ in der Hand hatte – ein kleines 160 Gramm schweres Metallgerät, das Menschen mit einer schweren Herzschwäche am Leben hält. Seit vielen Jahren arbeitet Schmidt als Wissenschaftler in einem großen Herzzentrum. Und an der Sporthochschule bringt er angehenden Sportwissenschaftler*innen bei, worauf es bei der Arbeit mit Herzpatient*innen ankommt. Zudem erforscht er, wie Herzpatient*innen körperlich aktiv sein können und wie ihnen eine Sport- und Bewegungstherapie vor und nach der OP helfen kann.

In Deutschland stellt die Herzschwäche - auch Herzinsuffizienz genannt - die häufigste Ursache für einen stationären Krankenhausaufenthalt dar. Im finalen Stadium wird als letzte Option häufig auf ein sogenanntes Kunstherz zurückgegriffen. Das linksventrikuläre Unterstützungssystem (LVAD) stellt dabei die häufigste Art von Kunstherzen dar. Ein solches LVAD liegt – neben einigen historischen medizinischen Gerätschaften – im Büro von Jun.-Prof. Dr. Thomas Schmidt. Als er es aus dem Regal nimmt und vor sich auf den Tisch legt, erklärt er: „Das Kunstherz hilft zum einen Patient*innen, die nicht für die Implantation eines Spenderherzens in Frage kommen. Zum anderen kann es die Wartezeit bis zur Herztransplantation überbrücken. Die Pumpe wird mit der linken Herzseite verbunden und transportiert sauerstoffreiches Blut von der linken Herzkammer in die Hauptschlagader und damit in den Rest des Körpers. Ein Kabel, die sogenannte Driveline, verbindet das LVAD mit dem Controller außerhalb des Körpers, der es steuert und mit Strom versorgt.“ Herzerkrankungen und deren Therapie sind zum Steckenpferd des jungen Wissenschaftlers geworden, der zunächst einen Berufsweg fernab der Hochschule eingeschlagen hatte…

Aus dem Alltag einer Herzklinik

Schmidt stammt gebürtig aus Alfter bei Bonn, wo er das Gymnasium besucht. Nach dem Zivildient und einem freiwilligen sozialen Jahr folgt das sportwissenschaftliche Studium an der Sporthochschule, wo er seinen Bachelor- und Master-Abschluss mit dem Schwerpunkt Prävention und Rehabilitation macht und nebenbei im Anti-Doping-Labor arbeitet. 2018 folgt die Promotion und 2021 die Juniorprofessur für Sport- und Bewegungstherapie bei inneren Erkrankungen. Bei der Rückkehr an die Hochschule bringt Schmidt viel Praxiserfahrung aus dem Alltag einer Herzklinik mit, denn seit Mai 2015 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Herz-Kreislauf-Forschung an der Schüchtermann-Klinik Bad Rothenfelde, einem der größten integrierten Herzzentren in Deutschland. Vor allem Patient*innen mit fortgeschrittener Herzinsuffizienz, deren Herz nicht mehr in der Lage ist, den Körper ausreichend mit Blut zu versorgen, standen im Fokus seiner wissenschaftlichen Arbeit, dem er auch seine Promotion widmete. „Die Sport- und Bewegungstherapie bei Kunstherzpatient*innen ist noch ein recht junges Forschungsfeld. Mittlerweile weiß man aber, dass ein individuelles Bewegungsprogramm auch für Menschen mit einem Unterstützungssystem möglich und sinnvoll ist“, sagt Schmidt.

Körperliche Leistungsfähigkeit und Veränderungen des Blutflusses

Für seine Doktorarbeit mit dem Titel „Körperliche Leistungsfähigkeit und hämodynamische Veränderungen bei Patienten mit einem linksventrikulären Herzunterstützungssystem (LVAD)“ erhielt Schmidt 2019 den Wissenschaftspreis der Deutschen Herzstiftung. Die Doktorarbeit fasst drei Publikationen zusammen, in denen er aktuelle sportwissenschaftliche Fragestellungen der LVAD-Therapie beantwortet. Schmidt verdeutlicht eine der aktuellen Herausforderungen mit einem Beispiel: „Bei einem Herzunterstützungssystem gibt die Steuereinheit die Umdrehungsgeschwindigkeit der Pumpe vor, die ist sozusagen festeingestellt. Sie kann sich unter körperlicher Belastung nicht anpassen wie das bei gesunden Menschen funktioniert, wenn sich das Schlagvolumen erhöht und das Herz schneller schlägt. Damit bleibt das Herzzeitvolumen bei LVAD-Patient*innen erheblich limitiert und somit auch die körperliche Leistungsfähigkeit. Und genau hier setzt die Sport- und Bewegungstherapie an“. Schmidt wünscht sich Langzeitstudien in Verbindung mit verschiedenen Trainingsmodalitäten, um wirksame Nachsorgeprogramme für diese Zielgruppe zu identifizieren. Hier liegt der Kern seines wissenschaftlichen Engagements, denn viele Kunstherzpatient*innen seien nach der Reha auf sich allein gestellt. „Die Herzsportgruppen sind voll; manchmal trauen sich die Übungsleiter auch nicht, LVAD-Patienten aufzunehmen, weil sie sich für deren Betreuung nicht gut genug geschult fühlen. Auch die Herzgruppenärzte sind manchmal unsicher, was zur Folge hat, dass Patienten weggeschickt werden. Das darf nicht passieren!“, betont Schmidt.

Praxisnahes Lernen am Herzpatienten

Daher ist ihm Aufklärung ganz wichtig und das fängt bei seinen Studierenden an. In der Lehre spielt er seinen Praxisvorteil voll aus: „Ich komme aus der Klinik und weiß daher, was die Studierenden brauchen, wenn sie später mal in der Therapie mit Herzpatient*innen arbeiten möchten.“ Mit Hilfe der Erfahrungsberichte von Betroffenen, Ärzt*innen und Therapeut*innen sollen sie praxisnah lernen, welche Angebote für die Patient*innen ohne Komplikationen möglich und welche Therapieformen sinnvoll sind. Und das nicht nur mit implantiertem Kunstherz, sondern beispielsweise auch bei Patient*innen nach einer Bypass-Operation, Klappenoperation oder Herztransplantation. Regelmäßig lädt Schmidt hierzu Gäste mit spannenden Geschichten in seine Seminare ein. „Das hat einen ganz anderen Effekt, wenn die Studierenden ihre Fragen direkt an die Betroffenen stellen können oder, wenn wir als Exkursion auch selbst in die Klinik gehen“, erklärt der Dozent, der dafür bereits einen Lehrpreis gewonnen hat. Teilweise entstehen durch den Austausch auch ungewöhnliche Fragestellungen, wie zum Beispiel die Rückfrage eines Herztransplantierten, ob er nun wieder seinem Hobby, dem Pressluft-Tauchen, nachgehen könne. „Solche Fragestellungen, zu denen es bisher keine gesicherten Erkenntnisse gibt, erfreuen natürlich das Forscherherz und machen den Job zusätzlich spannend“, sagt Schmidt begeistert.

Prähabilitation: Better in, Better out

Neben der Nachsorge von Herzpatient*innen befasst sich Schmidt auch mit der Phase vor einer Herz-Operation, der sogenannten Prähabilitation („Präha“). Der Begriff bezeichnet eine gezielte physische, psychische und sozialmedizinische Vorbereitung auf eine Operation oder Behandlung. Typische trainingsbasierte Therapiebausteine der kardiologischen Präha sind z.B. Atemtherapie, aerobes Ausdauertraining, Koordinationstraining, Ganzkörperkräftigung und Beweglichkeitsübungen. Zusätzlich zu den Trainingseinheiten spielt auch die psychologische Betreuung eine wichtige Rolle. Wie können die Patient*innen lernen, aktiv mit der Krankheit umzugehen, anstatt sich hilflos und passiv zu fühlen? Was passiert während der Operation? Was kommt danach auf sie zu? „Wenn die Patient*innen schon vor der OP und vor Beginn der Nachsorge auf die Reha-Inhalte vorbereitet sind, sich in der Klinik zurechtfinden, die Geräte und Therapeuten kennen, dann können sie ab Tag eins der Rehabilitation effektiv mit der Therapie starten und es geht keine wertvolle Zeit verloren“, nennt Schmidt einen weiteren Vorteil der Präha.

Multizentrische Studie und digitale Interventionen

Wie sich der Gesundheitszustand von älteren, herzkranken Patient*innen bereits vor einem geplanten operativen Eingriff am Herzen verbessern lässt, untersucht das Projekt PRECOVERY*. „Das ist eine auf vier Jahre angelegte, große Studie, die an mehreren Herzzentren in Deutschland läuft. Wir untersuchen, wie sich ein zweiwöchiges stationäres Programm, bestehend aus bewegungstherapeutischen, psychischen und ergotherapeutischen Aspekten, einer Ernährungsberatung und Gesprächen mit Angehörigen, auf den Gesundheitszustand der Patient*innen auswirkt“, erklärt der Wissenschaftler, der federführend daran mitgearbeitet hat, das Trainingsprogramm zu entwickeln. Die Ergebnisse sind zwar erst in einigen Jahren zu erwarten; Thomas Schmidt blickt aber schon positiv darauf: „Unsere Pretests und bisherige Studienresultate zeigen überwiegend positive Erfahrungen und verdeutlichen das Potenzial einer Präha zur Stärkung gesundheitlicher Ressourcen. Die Bedeutung einer Präha wird vermutlich weiter wachsen.“ Letztlich würde sich dies auch positiv auf die Gesundheitskosten auswirken, wenn sich die Dauer und Häufigkeit von Krankenhausaufenthalte verkürzen ließe.

Auch digitale Angebote sieht Thomas Schmidt als Chance, denn für manche Patient*innen sind die vorhandenen Nachsorgeprogramme schlichtweg unpraktisch: zu weit weg, Kurse voll, unpassende Uhrzeit. „Das ist ein Problem, wenn uns diese Patient*innen durch die Lappen gehen. Da müssen wir bessere Angebote machen und hierfür bieten sich eben auch digitale Interventionen an, also zum Beispiel Apps oder Onlinetrainings“, sagt Schmidt. Besonders in Kombination mit dem Einsatz von Wearables klingt dies für Schmidt vielversprechend. Sensoren können aktuell schon Parameter wie Blutdruck, Herzfrequenz oder Blutzuckerspiegel messen. „Die Patient*innen könnten zuhause trainieren, ihr Gesundheitszustand würde aber dennoch überwacht und sie würden letztlich von der Therapie ähnlich profitieren wie bei Präsenzangeboten“, ist Schmidt überzeugt. Das Schönste und Wichtigste an seiner Arbeit ist für den jungen Wissenschaftler aber noch etwas grundlegender: „Wenn uns die Patienten erzählen, was sie dank des LVAD alles machen können, wie sie mit ihren Enkelkindern spielen, dann ist das Wichtigste erreicht: Sie leben und können wieder am Alltag teilnehmen!“

Text: Julia Neuburg

*PRECOVERY wird mit insgesamt 5,3 Millionen Euro durch den Innovationsausschuss beim Gemeinsamen Bundessausschuss (G-BA) unterstützt. Das Projekt ist als randomisierte und kontrollierte multizentrische Studie angelegt, bei der jeweils 211 Patient*innen einer Interventions- und einer Kontrollgruppe zugeordnet werden. Deutschlandweit nehmen neun kardiologische/kardiochirurgische Akutzentren und acht kardiologische Rehakliniken teil. Zusätzlich sind zehn weitere wissenschaftliche und assoziierte Partner beteiligt.

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