Nr. 5/2019

Die Auswirkung der visuomotorischen Kalibrierung auf die Wurfgenauigkeit beim Dart

Millionen Zuschauer*innen vor den Fernsehern, tausende Zuschauer*innen in der Halle – verkleidet, grölend, feiernd. Darts ist in den letzten Jahren besonders in Großbritannien zu einer populären Sportart herangewachsen – mit hohen Preisgeldern. Der Gewinner der diesjährigen Weltmeisterschaft der Professional Darts Corporation (PDC), Michael van Gerwen, erhielt 500.000 Pfund. Auch in der Sportwissenschaft ist Darts etabliert und Bestandteil von Forschungsprojekten. In einer Studie, deren Ergebnisse nun veröffentlicht wurden, haben die Wissenschaftler Fabian Wunderlich und Professor Daniel Memmert gemeinsam mit Dr. Philip Furley und Professor Herbert Heuer untersucht, ob Dartspieler beim zweiten und dritten Wurfpfeil durch einen visuomotorischen Kalibrierungsprozess vom unmittelbar zuvor durchgeführten ersten Wurf profitieren.  

„Dartspielen beinhaltet einen Zyklus von verschiedenen Aktivitäten. Bei einem Match zwischen zwei Spielern werden drei Pfeile von einem Spieler geworfen und von der Dartscheibe wieder abgenommen. Dann werden drei Pfeile vom anderen Spieler geworfen und von der Dartscheibe abgenommen. Somit wirft jeder Spieler eine Serie von drei Pfeilen nacheinander, bevor dieser ziemlich reibungslose Bewegungsablauf unterbrochen wird, indem die Pfeile zurückgeholt werden. Dieser Zyklus wird so lange wiederholt, bis ein Spieler eine vordefinierte Punktzahl auf null heruntergespielt hat“, erklärt der Mitarbeiter des Instituts für Trainingswissenschaft und Sportinformatik, Fabian Wunderlich. „Für die vorliegende Studie gab es Grund zur Annahme, dass dieser Zyklus des Werfens, der Unterbrechung, des Werfens und so weiter mit periodischen Variationen der Präzision der Würfe einhergehen könnte“, so Wunderlich weiter. Untersucht wurden die Spiele der PDC-Weltmeisterschaft 2017 (n = 36.168 Würfe). Die Daten wurden aus im Fernsehen übertragenen Videoaufzeichnungen extrahiert. Dies waren 29 von 32 Spielen in Runde eins, alle 16 Spiele in Runde zwei, acht in Runde drei, vier Viertelfinale, zwei Halbfinale und ein Finale.

„Unsere Ergebnisse haben bestätigt, dass der erste Wurf einer Serie tatsächlich weniger genau ist, als die folgenden beiden“, nennt der geschäftsführende Leiter des Instituts für Trainingswissenschaft und Sportinformatik, Professor Daniel Memmert, ein zentrales Ergebnis der Studie. Dieser Aufwärm- bzw. Kalibrierungseffekt sei besonders ausgeprägt bei vertikalen Fehlern. Ein vertikaler Fehler tritt auf, wenn der Pfeil ein Segment mit einer hohen Punktzahl (20-17) trifft, jedoch das Triple verfehlt. Die Highscore-Segmente auf der Dartscheibe sind ungefähr vertikal ausgerichtet, sodass ein vertikaler Fehler beim Zielen auf das Triple zu einem Single führt. Ein horizontaler Fehler tritt auf, wenn der Pfeil ein Triple trifft, jedoch das Highscore-Segment verfehlt. Das Triple-Band im Highscore-Segment hat eine ungefähre horizontale Ausrichtung. Als Treffer wurden in der vorliegenden Studie diejenigen Würfe gewertet, die ein Triple-20, Triple-19, Triple-18 oder Triple-17 erzielten. Sonstige Fehler waren alle Punktzahlen, die aus einer Kombination von vertikalen und horizontalen Fehlern resultieren.

„Für den ersten Pfeil konnten wir eine Trefferquote von rund 30 Prozent ausmachen, während sie beim zweiten und dritten Pfeil bei rund 38 Prozent lag“, so Fabian Wunderlich. In Übereinstimmung dazu ist der Prozentsatz der vertikalen Fehler für den ersten Wurfpfeil mit 57 Prozent größer als der des zweiten und dritten Wurfes mit rund 50 Prozent (siehe hierzu auch Abbildung 3). „Damit ein Pfeil ein gewünschtes Ziel trifft, müssen Bewegungsparameter, die in einem körperbezogenen Referenzrahmen definiert sind, in Bezug auf einen externen Referenzrahmen kalibriert werden. Die Verbindung zwischen diesen verschiedenen Bezugsrahmen wird im Allgemeinen durch das Sehen hergestellt. Umgangssprachlich wird auch von Hand-Auge-Koordination gesprochen“, erläutert Professor Daniel Memmert. „Selbst wenn externe und körperliche Referenzbilder im Prinzip verknüpft sind, sind die Berechnungen, die für einen Überarmwurf erforderlich sind, der zum Auftreffen auf das fixierte Ziel geeignet ist, komplex und erfordern Transformationen zwischen verschiedenen Bildern“, so Memmert weiter. Entferne sich ein Spieler von der Wurflinie (dem sogenannten Oche), um seine Pfeile von der Dartscheibe zu nehmen, müsse er für den nächsten Wurf seine Körperposition und -konfiguration für eine Feinabstimmung der visuomotorischen Kalibrierung neu anpassen. Alle Informationen zu dieser Nachjustierung liefere nur der erste Pfeil.  „Wir vermuten, dass der Hauptgrund des Kalibrierungsverlustes im Verlassen der Oche begründet ist, da sich hierdurch die körperlichen Bezugsrahmen relativ zum äußeren Rahmen verschieben. Die Hauptquelle für die anschließende Genauigkeitsverbesserung ist dann die Feinabstimmung der visuomotorischen Kalibrierung nach der Rückmeldung durch den ersten Wurfpfeil“, erklärt Fabian Wunderlich. Diese Feinabstimmung sei ein heikler Prozess, der bei verschiedenen Spielern unterschiedlich stark ausgeprägt sein könne.

Eine Verbesserung der Kalibrierung könne aber ein entscheidender Erfolgsfaktor sein. „Der Unterschied in den Durchschnittspunktzahlen für die Pfeile eins und zwei betrug 2,63 und für die Pfeile eins und drei 2,50. Diese Unterschiede sind größer als die Differenz der Durchschnittspunktzahlen von Turniersieger Michael van Gerwen im Vergleich zu den Semifinalisten Peter Wright und Raymond van Barneveld im gesamten Turnierverlauf“, so Wunderlich. Professor Memmert: „Die Feinabstimmung der visuomotorischen Kalibrierung ist eine vernachlässigte Facette des Aufwärmens, die zugleich auch für andere Sportarten wie Tennis, Basketball oder Handball von Bedeutung ist.“ Zukünftige Forschungsarbeiten seien notwendig, die fundierte Antworten auf die Frage liefern, welche Prozesse nach dem ersten Wurfpfeil (oder verwandten Bewegungen in anderen Sportarten) der Feinabstimmung der visuomotorischen Kalibrierung dienen.

Text: Lena Overbeck


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