Nr. 7/2018

„Der Standort Köln eignet sich besonders gut, Dinge anzustoßen und zu bewegen“

Teresa Odipos zentrale Themen sind Inklusion, Teilhabe und Heterogenität. Im Rahmen des großen Projektes Schulsport2020 forscht die wissenschaftliche Mitarbeiterin des Instituts für Bewegungs- und Neurowissenschaft an der Zukunft eines inklusiven Schulsportes. Als Leiterin eines Eltern-Lehrer-Schüler-Chors verbindet sie Generationen und als Gründerin des Vereins „Lebensdurst-ICH“ verhilft sie jungen Menschen mit lebensverkürzenden Erkrankungen zu glücklichen Momenten.

Frau Odipo, Sie wurden im Juni in Berlin von Bundeskanzlerin Angela Merkel im Rahmen einer Preisverleihung der Initiative „Start Social“ für Ihr ehrenamtliches Engagement im Projekt Lenbensdurst-ICH e.V. ausgezeichnet. Was machen Sie in diesem Verein?

Vor einigen Jahren war ich sehr betroffen, weil eine damalige Kommilitonin schwer an Krebs erkrankt war. Ich stellte fest, dass es viele Hilfsprojekte für kranke Kinder und für ältere Menschen gibt, aber kaum Hilfe für junge Erwachsene, die unheilbar krank sind. Ich fragte mich, was wir als soziales Umfeld tun können, und so entstand die Idee, Geld zu sammeln, damit sich diese Menschen wichtige Wünsche erfüllen können. Inzwischen haben wir 170 Mitglieder und können viele Projekte umsetzen. Der Austausch auf Augenhöhe und der Austausch unter den Betroffenen sind uns dabei neben der Erfüllung von Herzenswünschen besonders wichtig.

Sie leiten außerdem einen Chor am Kölner Schiller-Gymnasium und Ihre Forschung befasst sich mit dem Alltag von Schülerinnen und Schülern mit Behinderung. Soziales Engagement nimmt einen großen Raum in Ihrem Leben ein. Wie kommt das?

Ich interessiere mich sehr für meine Mitmenschen und mir ist es wichtig, mich gesellschaftlich einzubringen. Vielleicht hat die Stadt Köln etwas damit zu tun. Ich bin in Schwaben aufgewachsen; dass ich jetzt in einer Stadt bin, die generell sehr offen ist, die einen sehr kommunikativen Aspekt hat, hat mir viele Türen geöffnet. Der Standort Köln eignet sich besonders gut, Dinge anzustoßen und zu bewegen.

Woher kommt Ihr Impuls, sich Schicksalen und Themen zuzuwenden, die viele Menschen eigentlich gerne verdrängen?

Tatsächlich werden die Probleme junger Erwachsener mit lebensbedrohlichen Krankheiten in der Gesellschaft tabuisiert. Der Versuch, die Lebensfreude und den Lebensdurst im Umgang mit diesen Menschen in den Mittelpunkt zu stellen, hat aber eine sehr schöne Seite. Uns fiel es zu Beginn zwar auch schwer, über die Krankheiten zu sprechen. Aber wir haben uns eine offene Herangehensweise bewusst zur Aufgabe gemacht, um die Teilhabe dieser Menschen an den schönen Seiten des Lebens gemeinsam leben zu können. Zudem rückt die Erkrankung dabei oft in den Hintergrund und wird nicht bei jedem Treffen zum Gesprächsmittelpunkt. Ich selbst habe außerdem einen tiefen christlichen Glauben und nehme die Zeit hier als geschenkte Zeit an. Wir wissen ja alle nicht, wann unser letzter Tag hier auf Erden kommt.

Gibt es Schnittstellen zwischen Ihrem ehrenamtlichen Engagement und Ihrer Arbeit an der Deutschen Sporthochschule Köln?

Die gibt es auf jeden Fall. Ich forsche im Projekt Schulsport2020. In unserem Teilprojekt stehen dabei die Themen Inklusion und Heterogenität im Zentrum. Das wissenschaftliche Ziel ist, Kindern und Jugendlichen mit Förderbedarf Teilhabe am Schulsport zu ermöglichen. Beispielsweise überlegen wir, wie die Lehrkräfte im Verlauf ihrer Ausbildung adäquat auf den Unterricht mit zum Teil sehr heterogenen Gruppen vorbereitet werden können. Im Ehrenamt versuchen wir, schwer kranken Menschen Teilhabe zu ermöglichen, auf der wissenschaftlichen Ebene versuchen wir das im Schulsportsetting.

Sie schreiben gerade an Ihrer Promotion, welche Fragen stehen im Mittelpunkt dieser Arbeit?

Ich untersuche, welche Einstellungen Studierende zum Thema inklusiver Schulsport haben. Haben die angehenden Sportlehrerinnen und Sportlehrer das Gefühl, gut auf ihren künftigen Arbeitsalltag als Lehrer beziehungsweise Lehrerin vorbereitet zu sein? Welche Bedingungen müssen erfüllt sein, damit inklusiver Schulsport gelingt? Außerdem frage ich in meiner Arbeit danach, inwiefern die Sportpraxiskurse  für Lehramtsstudierende hier an der Deutschen Sporthochschule Einstellungen und Selbstwirksamkeitsüberzeugungen verändern.

Zu welchen Erkenntnissen kommen Sie?

Wir haben gerade erste Ergebnisse in der Zeitschrift „Brennpunkte der Sportwissenschaft“ publiziert und stellen fest, dass unterschiedliche Heterogenitätsdimensionen unterschiedlich wahrgenommen werden. Die Einstellung zum koedukativen Schulsport, also zum Unterricht mit Mädchen und Jungen in einer Sporthalle, sind durchweg sehr positiv. Beim Blick auf die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen, die besonders gefördert werden müssen, zeigt sich ein anderes Bild: Vor allem die Vorstellung, Kinder und Jugendliche mit Unterstützungsbedarf in der sozialen oder emotionalen Entwicklung zu unterrichten, wird oft als negativ empfunden.

Vor einiger Zeit waren Sie an einer Simulation beteiligt, in deren Rahmen angehende Sportlehrerinnen und Sportlehrer erleben konnten, wie bestimmte Behinderungen im Sportunterricht von den Betroffenen empfunden werden könnten. Werden solche Maßnahmen künftig fester Bestandteil der Ausbildung?

Durch solche Perspektivwechsel entwickeln die angehenden Pädagoginnen und Pädagogen ein besseres Verständnis für Kinder und Jugendliche, die bestimmte Beeinträchtigungen oder Unterstützungsbedarfe haben. Außerdem soll durch die Übungen eine Form der Achtsamkeit gefördert werden, um zu sehen: Was müssen wir eigentlich berücksichtigen? Und nicht zuletzt liefern solche Maßnahmen Anregungen, wie sich in einer heterogenen Gruppe Sport auch als Wettkampfspiel organisieren lässt, das für alle herausfordernd und interessant ist. Im nächsten Schritt sollen die Maßnahmen und Produkte, die im großen Projekt Schulsport2020 entstehen, eine gute Form der Umsetzung finden. Im Einzelfall finden derartige Dinge im Unterricht oft schon statt, aber es geht auch darum, diese systematisch zu verankern, wenn sie sich als wirksam erwiesen haben.

Interview: Daniel Theweleit

Kontakt

Teresa Odipo hat die Sporthochschule Ende 2021 verlassen.


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