Wissenschaftlerin und Familienmensch aus Leidenschaft

Viel und gute Kommunikation sowie die klare Festsetzung von Prioritäten ... so gelingt der jungen Wissenschaftlerin des Psychologischen Instituts der Spagat zwischen Familie und Karriere.

Eine der renommiertesten Auszeichnungen für junge Wissenschaftler*innen in NRW ist die Aufnahme in das „Junge Kolleg“. Mit dem Jungen Kolleg fördert die Nordrhein-Westfälische Akademie der Wissenschaften und der Künste herausragende junge Wissenschaftler*innen und Kunstschaffende und bietet im Rahmen der Mitgliedschaft einen Ort für freies Forschen und disziplinübergreifenden Dialog. Die Mitglieder werden für vier Jahre berufen. Das Junge Kolleg steht Promovierten aller Fachrichtungen sowie herausragenden künstlerischen Talenten aus Nordrhein-Westfalen offen, die nicht älter als 36 Jahre sind. Mit der Mitgliedschaft ist ein Forschungsstipendium in Höhe von 10.000 Euro pro Jahr verbunden. Zum Jahresbeginn 2023 wurden 17 neue Mitglieder aufgenommen. Eines davon ist Dr. Lisa Musculus, promovierte Wissenschaftlerin und Mitarbeiterin im Psychologischen Institut der Deutschen Sporthochschule.

Im Rahmen ihrer interdisziplinären Forschung untersucht Lisa Musculus, wie sich Kinder und Jugendliche motorisch und kognitiv entwickeln, wie sich ihr Denken und ihre Bewegungen gegenseitig beeinflussen können und wie sich das im Lebensverlauf sowie durch Training verändert. Ein weiterer Aspekt ist die Expertiseentwicklung. Das methodische Herzstück ihres DFG PostDoc-Projekts ist ein Kletterlabor mit interaktiver Kletterwand, Reaktionszeitmessung und Bewegungsanalysesystem. „Es geht um den motorisch-kognitiven Planungsprozess, also um die Überlegung, wo kann ich Hände und Füße platzieren, und wie muss ich den Plan während der Bewegungsausführung anpassen.“ Sie spricht von „embodied planning“ und einer Art „Feedback-Loop“, von der komplexen Interaktion zwischen Motorik und Kognition: Immer wieder gehen motorische Informationen in den kognitiven Planungsprozess ein, der sich dadurch schrittweise weiterentwickelt. „Das Besondere an meiner Forschung ist, aus einer Embodiment-Perspektive Motorik und Kognition konsequent zusammen zu denken und diese Interaktion im Entwicklungsverlauf zu betrachten. Und durch den Sport-Kontext geht es meist um sehr komplexe Handlungen, die in experimentellen Studien und durch integrierte Methoden abgebildet werden müssen.“

Innovative Wissenschaft
Ins Junge Kolleg gebracht hat sie ihre wissenschaftliche Laufbahn und ihre Fokussierung auf den Wissenstransfer und die Wissenschaftskommunikation. „Mir macht es Spaß, meine Forschung verständlich in der Gesellschaft zu platzieren und hierfür unterschiedliche Formate, wie zum Beispiel auch mal einen Science Slam, zu wählen. Ich finde es wichtig, Einblick in Forschungsprojekte zu geben, die viele betreffen.“ Die Auszeichnung durch die Nordrhein-Westfälische Akademie der Wissenschaften ist für Lisa Musculus deshalb so besonders, weil nicht eine einzelne wissenschaftliche Arbeit, sondern ihr gesamtes Forscherinnen-Profil ausschlaggebend war. „Ich werde ausgezeichnet als exzellente Wissenschaftlerin, weil das, was ich mache, als innovativ und zukunftsweisend angesehen wird. Das macht mich natürlich stolz.“ Inzwischen hat sie im Rahmen einer ersten Veranstaltung in Düsseldorf die anderen 16 „Newbies“ kennengelernt, Wissenschaftler*innen,  die vier Klassen zugeordnet sind: Geisteswissenschaften, Naturwissenschaften, Ingenieur- & Wirtschaftswissenschaften sowie den Künsten. „Es gab Vorträge aus den unterschiedlichsten Bereichen, ein Autor hat seinen Roman vorgestellt, ich unser DFG-Projekt und das Kletterlabor, es gab einen Beitrag zu Energieeinsparungen durch bessere Vernetzung von Energiekraftwerken – eine unglaubliche und spannende Breite.“ Regelmäßig wird in internen Sitzungen inhaltlich gearbeitet, die Arbeitsgruppen sind alle dem übergeordneten Thema Nachhaltigkeit verschrieben und lauten: AG Gesellschaft, AG Transitions, AG Dialog und AG Individuum, letztere mit Lisa als Sprecherin. „Durch den inhaltlichen und strukturellen Austausch kann ich sehr viel lernen, trainiere mein Hirn, anders zu denken – und natürlich profitiere ich enorm von dem großen Netzwerk. Persönlich sehr wichtig ist mir auch der Nachhaltigkeitsfokus.“

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Doch wie hat die wissenschaftliche Laufbahn von Lisa Musculus begonnen? Sie kommt aus einer sportbegeisterten Familie, ihre Mutter hat Sport und Englisch studiert, Lisas Hauptsportart ist Tennis. Nach dem Abitur beginnt sie im Herbst 2008 ein Psychologie-Studium an der Universität zu Köln und landet bereits im zweiten Semester im Rahmen eines ihrer beiden Pflichtpraktika an der Spoho bei Dr. Babett Lobinger, deren Faszination für das Fach Sportpsychologie schnell auf die neue Praktikantin abfärbt. „Am Anfang hab‘ ich gedacht, die Praxis, das ist total mein Ding, die Zusammenarbeit mit Sportler*innen. Sehr schnell habe ich dann aber auch meine Leidenschaft für das wissenschaftliche Arbeiten entdeckt und in den Projekten des Instituts erste Verantwortung bekommen.“ Sie ist inzwischen Studentische Hilfskraft im Psychologischen Institut, die Empfehlung einer studentischen Kollegin der Abteilung Leistungspsychologie („die Lisa, die ist auch ganz o.k.“) gibt den Ausschlag. Und Lisa taucht immer tiefer ein in die Sportpsychologie und die Sportwissenschaft: „Phänomene, die man beobachten kann, besser zu verstehen, das hat eine unglaubliche Faszination in mir ausgelöst. Dazu kam die tolle Zusammenarbeit mit Babett, mit Markus, mit dem ganzen Team der Abteilung Leistungspsychologie.“ Nach ihrer Bachelorarbeit bei Dr. Sylvain Laborde, für die sie zwischen Uni und Spoho hin und her pendelt, ist klar, dass auch im anschließenden Master das Fach Sportpsychologie im Fokus stehen soll. Sie wechselt an die Uni Konstanz, damals einzige deutsche Universität, an der Sportpsychologie als Nebenfach im Master Psychologie angeboten wird, absolviert ihr halbjähriges Praktikum in der Entwicklungspsychologie am Max Planck Institut für Bildungsforschung in Berlin. „Das war eine super Erfahrung für mich, einfach nochmal ein ganz anderes Forschungssystem kennenzulernen. Da ist mir dann klar geworden, dass ich richtig Lust auf die Promotion hab.“

Spagat Karriere - Familie
In Konstanz lernt Lisa ihren Mann kennen, inzwischen haben die beiden zwei Töchter (4 Jahre und 18 Monate). „Ich bin schon immer ein totaler Familienmensch gewesen, habe zu meinen Eltern, meinem Bruder ein sehr enges Verhältnis und war mir immer sicher, dass ich gerne Kinder haben möchte.“ Ihr Geheimnis, den Spagat zwischen Familie und Arbeit zu bewältigen? Viel und gute Kommunikation im Hinblick auf Pläne, Wünsche und Bedürfnisse, genau für sich selbst zu definieren, was privat und beruflich wichtig ist, klare Prioritäten zu setzen. „Mein Partner, meine Kinder sind auf jeden Fall mein Lebensmittelpunkt, und meine wissenschaftliche Arbeit ist mir auch wichtig.“ Sie spricht davon, die richtige Balance zu finden zwischen diesen gegenläufigen Motivationstendenzen, jedes zu seiner Zeit mit vollem Einsatz tun zu wollen: „Wenn ich morgens entspannt und ohne Hektik die Kinder in die KiTa bringe und weiß, dass es ihnen dort gut geht und sie gut versorgt sind, hilft mir das, mich im Anschluss konzentriert mit meiner wissenschaftlichen Arbeit zu beschäftigen.“ Denn auch das Wissenschaftssystem stellt hohe Anforderungen an die junge Wissenschaftlerin, dem Publikationsdruck kann auch sie sich nicht entziehen.

Verlassen kann sie sich auf die volle Unterstützung der Kolleg*innen, im Team sind alle involviert in die Themen der anderen, denken gemeinsam nach, bis hin zur gegenseitigen kritischen Be-trachtung der jeweiligen Paper. „Was ich dabei für mein Arbeits- und Privatleben gelernt habe: Dinge nicht persönlich zu nehmen, mich nicht angegriffen zu fühlen, Kritik als (sachliche) Unterstützung zu sehen.“ Als sehr besonders empfindet sie die Art, wie die Abteilung geführt wird, und schätzt das Vertrauen ihres Chefs, Professor Markus Raab. „Ich bin sehr gerne im Institut, arbeite eher selten im Homeoffice. Ich kann aber auch, wenn nötig, nachmittags gehen, arbeite vielleicht abends zu Hause weiter. Ich genieße diese Flexibilität, und Markus weiß, dass er sich darauf verlassen kann, dass ich Deadlines einhalte.“ Und dann sagt sie noch: „Ich kann inzwischen sehr gut einschätzen, was mir wirklich wichtig ist. Wissenschaftliches Denken, Arbeiten und Publizieren ist mir wichtig, aber ein Paper nimmt mich abends nicht in den Arm …“

Text: Sabine Maas

Gut zu wissen

Wissenschaftliche Karriere
  • Post-doc, Psychologisches Institut (DSHS Köln) sowie Assoziierte Mitarbeiterin, Max-Planck-Forschungsgruppe „iSearch“ (Berlin)
  • 2018: Promotion (DSHS Köln)
  • 2013: Master of Science in Psychologie (Universität Konstanz)
  • 2011: Bachelor of Science in Psychologie (Universität zu Köln)
Auszeichnungen (Auswahl)
  • 2023: Aufnahme in das Junge Kolleg der Akademie der Wissenschaften und der Künste NRW
  • 2022: Reviewer of the Year der Fachzeitschrift Psychology of Sport and Exercise
  • 2019: Beste Dissertation (Lebenswissenschaften, DSHS Köln)
  • 2014: Beste Masterarbeit (Studienpreis der Arbeitsgemeinschaft für Sportpsychologie)